Demenz: Wenn die innere Zeitreise endet …

Ein Apell an die Hochleistungsgesellschaft

Pflege, Alter, Demenz
Pflege, Alter, Demenz | Foto: geralt / Pixabay License

Wir bekommen ja einige Post, welche gewisse Dinge im eigenen Ort betreffen. Doch 99 % davon lassen wir entweder unveröffentlicht oder nur für Abonnenten zugänglich. Doch manche Begebenheiten gehören einfach erzählt, auch weil sie regional übergreifend sind.

Letztes WE, zu Allerheiligen/Allerseelen kümmerten wir uns um die irdischen Ankerplätze der Seelen, an die wir immer noch denken, was auch wichtig und richtig ist.

Doch die Lebenden sollten vorgehen und vor allen jene Menschen, die nicht zur pumperlxunden Hochleistungs-Gesellschaft gehören, sondern mit Not und Krankheit beladen sind. Es gibt sie auch hier, vllt. aber gut versteckt vor den stets jungen, immer erfolgreichen, allseits vernetzten und bestens integrierten Teilen der Bevölkerung.

Abenteuerliche Einkaufstour

So veröffentlichen wir eine Zuschrift eines Bürgers, welcher von so einem armen, Demenzkranken Menschen berichtet.

--- Beginn Leserbrief ---

Furth, Dez. 2023 – Eigentlich stand der vorweihnachtliche Einkaufswahnsinn am Programm, doch der Tag verlief anders.
Also ins Auto, ohne dem hier gar nix geht und Richtung Supermarkt losgefahren.

Doch nach dem GH Hönigsberger sprang plötzlich ein älterer Mann vor mir auf die Straße und winkte hektisch, signalisierte, ich solle anhalten, bzw. an den Straßenrand ranfahren.
was ist denn passiert, war ein Unfall, brauchen sie Hilfe?” frage ich.
Der, mir bislang Unbekannte meinte, er wolle zum Billa nach Pottenstein, er müsse dringend was einkaufen, er hab nichts mehr zu Hause usw. Na ja, ich fahre eh auch grade einkaufen, meinte ich. Also ja, dann fahr mit.

Er stieg sofort ein, wedeltete zugleich mit einem 50 € Schein und meinte, er wolle gleich nachher wieder heimgefahren werden.
Also ja, aber ich muss auf Berndorf und das dauert schon eine Weile, meinte ich. Ich kann sie aber beim zurückfahren wieder von Pottenstein abholen”. Er könnte sich bis dahin in ein Gasthaus oder so setzen, wir müssten nur einen Treffpunkt vereinbaren.

Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass der Mann das nicht versteht, nicht einordnen, verarbeiten, sich nichts merken kann …

Wir fuhren also Richtung Weissenbach und als er all das vorhin Gesagte dauernd wiederholte, wurde mir klar, der hat irgendwelche geistigen Probleme. Er roch nicht nach Alkohol, also ist das was anderes.
Ich überlegte, was nun: Echt nach Pottenstein zum Billa und dann wieder nach Hause fahren? Oder nach Altenmarkt zum Billa. Letzteres geht schneller und ich hab weniger Umweg, auch wenn ich ihn gleich nachher wieder nach Furth zurückbringe. Er schien einverstanden.

Während der Fahrt nach Altenmarkt erzählte er unablässig, wo er überall gearbeitet hätte. Stets war von der Eisenbahn die Rede und dass die nicht mehr da sei … Er zeigte eigentlich auf jedes Gebäude, was mal ein Betrieb war oder noch ist – aber auch auf Privathäuser. Und immer wieder, ansatzlos dazwischen: “fahrst mich zum Billa, ich geh schnell einkaufen .. fahrst mich dann gleich heim

Da viel Verkehr war, dauerte das ein bisserl länger, aber wir kamen beim Billa Altenmarkt an und dann sekkierte er, ich solle mit reingehen. Wollte ich aber nicht.
Dann ging er alleine rein, ich wartete wie vereinbart und er kam gleich wieder – aber ohne ein Stück Einkauf! Oje, was denn jetzt?
Die lassen mich nicht rein, die geben mir nichts” meinte er. Ich staunte, dachte nicht, dass es sowas gäbe. “Warum?” Doch er ging nicht wirklich darauf ein, meinte nur das er hier nichts bekommt, das man schon mal die Polizei holte, usw. Er dürfe nur in den Pottensteiner Billa rein.

Also doch nach Pottenstein, musste ich seufzend zur Kenntnis nehmen.
Wieder eine sehr lange Fahrt, voll Stau usw. und voller Erzählungen meines Fahrgastes. Demnach musste er auch in jedem Gebäude in Fahrafeld und Pottenstein gearbeitet haben.

Beim Billa wieder die Bitte wegen mit reingehen, ich wollte aber wieder nicht. (Die Überlegung, einfach abzuhauen, kam mir auch)
Dachte, vllt. sollte ich die Polizei informieren, ich habe das einen seltsamen Typen, der evtl. Hilfe braucht und würde ihn vor dem nächsten Posten abliefern. Aber nein, das wäre auch nicht fein.

Nach einer Weile kam er raus, im Waggerl ein prall gefüllter Einkaufssack und in Begleitung einer Angestellten. Die kam zu mir und meinte: “Eigentlich ist ausgemacht, dass ihn immer wer begleitet”. Ich: “Hä?” Ich kannte den ja nicht, weiß von nix, er hat mich quasi gekidnappt. Sie entschuldigte sich und meinte ach je, hat er wieder ein hilfsbereites Opfer gefunden.

Dann endlich Heimfahrt, ich versuchte ein bisschen mehr aus ihm rauszukriegen, wie lange er in Furth wohnt usw. Doch nix, nur die übliche Platte. Ja, morgen würde er noch ein Taxi zum Doktor brauchen. Zu wem genau wusste er aber nicht. Ich meinte, keine Zeit zu haben. Denn wer weiß, ob das so stimmt?
Habe ihn dann genau dort wieder ausgeladen, wo ich ihn eingesammelt habe und er ging wirklich zu dem etwas höher gelegenen Haus hinauf.

Bin dann nochmals zum Billa nach Pottenstein, um mit der Angestellten zu reden (die mich vorher kurz informierte) und wir plauderten eine Weile.

Anm. Red.:
Für die folgenden Absätze beanspruchen und erklären wir, dass es die (vom Leser kolportierte) Aussage einer Angestellten des Marktes ist und dass für alles die Unschuldsvermutung gilt. Besonders für den armen Mann!

Sie meinte, ja, manchmal käme er mit einem jungen Mann, scheinbar ein Verwandter? Manchmal aber auch mit anderen, die er eben anhält und die ihn mitnehmen.

Er sei Dement und es würde eh versucht, ihn in ein Heim zu geben, bzw. bessere Betreuung, evtl. auch zu Hause zu gewährleisten. Es ist ja auch gefährlich, wenn der z. B. eine Herdplatte anlässt.

Das Problem für die Geschäftsleute sei aber, dass er manchmal etwas mitgehen lässt. Auch wenn er sich dessen nicht wirklich bewusst ist, es ist doch ein Schaden. Heute ging sie mit, doch die Angestellten haben anderes zu tun, als den zu bewachen, begleiten. Eigentlich wäre ja Hausverbot, aber man kann den doch nicht ohne Lebensmittel wegjagen.
Ich meine, da müsse man was unternehmen, entweder für eine Betreuung sorgen oder vonseiten der Gemeinde was machen“, so die Angestellte.

Aber wie auch immer, jetzt kenne ich den und kann ihn auch wieder mitnehmen.
Dennoch müsste da echt was unternommen werden, bevor was passiert!

— Ende Leserbrief —

Wer hilft da wirklich?

Sofern die Angehörigen oder Verantwortlichen hier mitlesen: Das alles ist weder eine Kritik von uns, noch meinte der Leser seine Zuschrift böse. Wir alle (?) wollen helfen, denn auch Reporter, Journalisten und Blogger haben vllt. irgendwelche Probleme oder Angehörige mit Problemen.

Keiner ist eine Insel und wird von allen Widrigkeiten des Lebens ausgespart. Zu viele glauben nur, unsterblich und unkaputtbar zu sein. Bis es sie selber betrifft …

Wie auch immer: Da es der Gemeinde scheinbar egal ist (zwei Mails besagten Lesers blieben angeblich unbeantwortet) kann man nur auf übergeordnete Stellen verweisen.
Die da wären:

300 Demenzfreundliche Polizei-Dienststellen in Österreich

Eine weitere Anfrage unsererseits wurde aber bereits im Jänner 2024 beantwortet. Konkret vom Innenministerium:

Zitat:

Um die österreichischen Polizeibediensteten im Umgang mit Demenz zu schulen, werden seit mehreren Jahren E-Learning-Module angeboten. Die Entwicklung der Module erfolgte in Kooperation mit der Donau-Universität Krems und dem Verein „MAS Alzheimerhilfe“. Sobald 70 Prozent der Bediensteten einer Dienststelle das Modul absolviert haben, gilt die Dienststelle als „Demenzfreundliche Dienststelle“ zertifiziert. Dies ist derzeit bei rund 300 Dienststellen in Österreich der Fall – Tendenz steigend. Durch die Schulungen erwerben Polizistinnen und Polizisten die Fähigkeit, Demenzerkrankungen bei Menschen zu erkennen und die richtigen Ableitungen bei Amtshandlungen zu treffen.

Und dieser Absatz findet sich auch in einem damals aktuellen Artikel des BMI: Karner und Landau: Kompetenz bei der Polizei im Umgang mit Demenz beschreibt die Sache noch näher.

In Wien scheint man diese Thematik und Problematik schon weit länger begriffen zu haben, denn hier schreibt das LPD Wien über “Gemeinsam.Sicher mit Demenz