Allianz gegen Zusammenlegung und Änderung der Selbstverwaltung.
NÖ Gebietskrankenkasse und Ärztekammer einig: Patientenversorgung gemeinsam regional gestalten!
„Regional geht besser“ ist der Tenor von Niederösterreichischer Gebietskrankenkasse (NÖGKK) und Ärztekammer zu propagierten Regierungsplänen, die eine Zentralisierung des Gesundheitswesens, eine Schwächung der Selbstverwaltung und eine Einschränkung der Budgethoheit der Kassen ansteuern. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz sind sich die Gesundheitspartner einig, dass gerade Niederösterreich über ein hervorragend ausgebautes und bestens an die regionalen Bedürfnisse angepasstes Gesundheitswesen verfügt. Sie stellen die Frage, welches Ziel eine Veränderung haben solle und aus welchen Gründen man ein gut funktionierendes System nachhaltig zerschlagen wolle.
Tatsächlich gibt es Wichtigeres zu tun – nämlich aktuelle Probleme zu lösen, die die Gesundheit und Versorgung der Menschen betreffen.
Die brennenden Fragen sind: Was wird getan …
- gegen die Adipositas-Epidemie bei Kindern?
- gegen die massive Zunahme der psychischen Erkrankungen?
- zur besseren Vernetzung der Versorgungsangebote?
- zur Digitalisierung im Gesundheitssystem?
- um den drohenden Ärzte- und Versorgungsmangel abzuwenden?
- gegen die höchste Anzahl rauchender Kinder und Jugendlicher in Europa?
- gegen die Tatsache, dass Armut krank macht?
„Aber bei den Absichtserklärungen der Regierungsverhandler geht es nicht um diese Versorgungsziele. Es dreht sich um Nebenschauplätze, Kasterlzeichnen und Machtverschiebung – damit wird kein einziges Problem gelöst“, betont Gerhard Hutter, Obmann der NÖGKK.
Kostenfalle Zentralisierung
Mit dem Mythos, dass die Vorhaben der Koalitionsverhandler das System billiger und effizienter machen würden, räumt NÖGKK-Generaldirektor Mag. Jan Pazourek auf: „Die Verwaltungskostenquote der Gebietskrankenkassen in Österreich ist mit knapp über zwei Prozent schon jetzt extrem niedrig. In Deutschland sind die Verwaltungskosten doppelt, in der Schweiz sogar dreimal so hoch. Finanzielle Nachhaltigkeit des österreichischen Gesundheitswesens über Verwaltungskosten erreichen? Da kann man nur sagen: Glatte Themenverfehlung!“ Verbesserungen, die das Krankenkassensystem noch kundenfreundlicher und effizienter machen, treiben die Krankenkassen selbst proaktiv voran: Gleiche Leistung für gleiche Beiträge – Stichwort Leistungsharmonisierung – und Aufgabenbündelung im Verwaltungs- und IT-Bereich. „Denn diese unterstützen die Effizienz zuhause“, so Pazourek. „Große IT-Lösungen, Online-Services und -Formulare, Web-Auftritte, Dienstgeberservices oder andere Competence-Center werden schon heute einmal entwickelt und nicht neunmal für jedes Bundesland neu erfunden.“ Mit dieser Aufgabenbündelung spielen sich die Krankenkassen jene Ressourcen frei, die sie für eine bürgernahe, optimale und patientenorientierte Versorgung brauchen.
Regionale Partnerschaften für beste Lösungen
Die Erfahrung hat gezeigt, dass Aufgaben, die die Gesundheitsversorgung betreffen, regionalpolitisch am besten im Sinne der Menschen in Niederösterreich gelöst werden können:
- Wichtige Projekte, bei denen die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen, können regional leichter und maßgeschneidert umgesetzt werden. Als Beispiel führt MR Dr. Dietmar Baumgartner, Vizepräsident und Kurienobmann der NÖ Ärztekammer, die Vorreiterstellung Niederösterreichs bei der Schaffung von über 100 Gruppenpraxen an. In wenigen Wochen werden die ersten niederösterreichischen Primärversorgungseinheiten ihre Türen öffnen und an 365 Tagen im Jahr die rund 770 Einzelordinationen bei der medizinischen Versorgung der niederösterreichischen Bevölkerung ergänzen. Österreichweit wäre eine solche maßgeschneiderte Lösung in so kurzer Zeit unmöglich gewesen. Die regionalen Gesundheitspartner entwickeln die Gesundheitsversorgung weiter – ideal angepasst an die Bedürfnisse vor Ort. Damit kommt die Gesundheitsreform beim Menschen an, wie zum Beispiel in Form von kürzeren CT-Wartezeiten und maßgeschneiderter Gesundheitsförderung vor Ort.
Als regionale Krankenkasse ist die NÖGKK mit ihren Partnern nahe beim Versicherten – sie kennt die Besonderheiten und regionalen Verhältnisse und entscheidet im Sinne der Patientinnen und Patienten. Ohne Regionalkompetenz fallen zentrale „Einheitsentscheidungen“ – ohne Rückkoppelung von Betroffenen zu Entscheidern. Als Beispiel nennt Hutter die Nahversorgung im Gesundheitswesen: „Wir wissen, was in Ober-Grafendorf los ist und notwendig ist, die Ärztekammer weiß das und der Bürgermeister weiß das auch. In Wien kennen sie nur die Zahlen – wir kennen die Menschen.“
- In einer regionalen Kasse vertritt die Selbstverwaltung die Interessen der Niederösterreicher und entscheidet mit ihren Partnern – wie der Ärztekammer – im Sinne der Niederösterreicher. Fällt diese Autonomie der Kasse, gibt es für Gesundheits- und Sozialpartner keinen direkten Ansprechpartner mehr – regionale Kompetenzen werden durch die Zentralisierung „geschluckt“. Damit fallen die Gestalter weg, die Verbesserungen und Innovationen auf den Weg vorantreiben. Die Gesundheitspartner in Niederösterreich sind dank partnerschaftlicher, kompetenter Sacharbeit Innovationstreiber. Beispiele sind individuelle Lösungen bei Besetzungsproblemen einer Kassenstelle gemeinsam mit der Ärztekammer, eine „Task force“ für Krebspatienten beim CT-Wartezeitenproblem mit der Wirtschaftskammer oder eine gemeinsame Schwangerenberatung mit der Arbeiterkammer. „Weitere Erleichterungen für die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher brachte auch die Rezepturbefugnis für Wahlärzte, die NÖ Ärztekammer und NÖGKK 2015 vereinbarten“, ergänzt Baumgartner.
- Eine regionale Krankenkasse sichert darüber hinaus die regionale Auftragsvergabe – und ist mit den Wirtschaftsbetrieben in Niederösterreich gut im Geschäft. Beispielsweise regionale Auftragsvergaben bei regionalen Bauvorhaben (Service-Center), Zusammenarbeit mit regionalen Orthopädieschuhmachern, Laborleistungen in St. Pölten etc.
Zusammenlegung: Statt billiger, wird vieles teurer
Mit einem Irrglauben räumt Pazourek auf. Zusammenlegung heißt nicht Einsparungen, im Gegenteil: Tatsächlich würden dadurch Mehrkosten auf die Sozialversicherung zukommen. Das zeigen Beispiele aus den Nachbarländern. Der deutsche Bundesrechnungshof analysierte zahlreiche Krankenkassenfusionen – und das Ergebnis ist mehr als ernüchternd. Der Zusammenschluss von gesetzlichen Krankenkassen brachte nämlich statt der ersehnten Ersparnisse vor allem wirtschaftliche Nachteile. Fusionen sind „Kostentreiber“ und führen „nicht immer zu leistungsfähigen Einheiten“, hieß es dort. Bei fünf von sechs untersuchten Fusionen lagen die Netto-Verwaltungskosten nach der Zusammenlegung über den Verwaltungskosten der bisherigen Kassen. Die Steigerung betrug bis zu 18 Prozent. Auch bei den Preisen und Rahmenbedingungen für den Leistungseinkauf kam es zu keinen Verbesserungen, sondern zu Verschlechterungen zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Ähnliches hat in der Vergangenheit die Zusammenlegung der Kassen für Eisenbahn und Bergbau sowie der Pensionsversicherungsträger in Österreich gezeigt.
Kassen-Infrastruktur ist der Maschinenraum des Sozialsystems
Wenig bekannt ist, dass die Arbeit der Gebietskrankenkassen weit über das Organisieren von Gesundheit oder die Honorarzahlungen an die Ärzteschaft hinausgeht. Im Rahmen ihres Versicherungswesens und der Beitragsprüfung werden die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt und kontrolliert, ob diese ordnungsgemäß angemeldet sind, deren Kollektivverträge eingehalten und Überstunden richtig ausbezahlt werden. Damit haben Gebietskrankenkassen auch eine wesentliche Rolle beim Arbeitnehmerschutz. Zudem könnten ohne die erhobenen Datensätze Pensionen weder berechnet noch ausgezahlt werden. Kassen fungieren überdies als wichtige Finanzdrehscheibe: Sie heben Sozialversicherungsbeiträge, Umlagen, Wohnbauförderungsbeiträge und viele andere Lohnnebenkosten für andere ein und leiten sie weiter. Pazourek: „Wir sind der Maschinenraum des Sozialstaates. Wir leisten viel und nützen allen. Wir halten den Sozialstaat am Laufen und schaffen die Rahmenbedingungen, dass alles reibungslos funktioniert.“ Durch Zusammenlegung wäre das etablierte und gut funktionierende System in Gefahr, das vor allem für Stabilität, Solidarität und sozialen Frieden sorgt.
Ärztekammer und Gebietskrankenkasse wehren sich gegen populistischen Aktionismus
Hutter warnt vor massiven Folgen einer Zerschlagung des Systems, die als erstes die Patienten zu spüren bekämen, betont aber, Innovationen und echte Verbesserungen zu begrüßen: „Wir sind allen Reformen und konkreten Plänen gegenüber aufgeschlossen, wenn es darum geht, was für die Menschen besser oder wie die Finanzierung nachhaltiger wird. Überschriften oder neue Namen auf einem Kassengebäude lösen definitiv keine Probleme.“ In Niederösterreich werden Probleme vor Ort rasch erkannt und von den Gesundheitspartnern gemeinsam gelöst. Hier richten sich die handelnden Einrichtungen ihre Positionen nicht über Presseaussendungen aus, sondern setzen sich an einen Tisch und finden eine Lösung. „Und genau das ist es, was unsere Versicherten brauchen: Sie brauchen Lösungen, sie brauchen Ansprechpartner vor Ort, sie brauchen wen, der auf sie schaut und notwendige Verbesserungen rasch umsetzen kann – sie brauchen ihre NÖGKK“, ist Hutter überzeugt. Eine zentralistische Krankenkasse, die von Vorarlberg bis ins Burgenland keine Besonderheiten berücksichtigt, wäre schwerfällig und unflexibel. „Regionale Unterschiede verlangen aber dezentrale Entscheidungsstrukturen und müssen im Sinne der Menschen auch in Zukunft Berücksichtigung finden. Als Vertreter der niederösterreichischen Ärzteschaft werden wir auch in dieser Situation Verantwortung übernehmen und die Gesundheitsversorgung mit unserem Partner NÖ Gebietskrankenkasse mitgestalten“, meint Baumgartner abschließend.
Quelle
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