„Liebesbrief“-Artikel über Katia Wagner verletzt Ehrenkodex

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Nach Ansicht des Senats 1 des Presserats verstößt der Artikel „Angebliches ‚MeToo-Opfer‘ schrieb ÖSTERREICH-Chef Liebesbrief“, erschienen am 06.05.2021 auf „oe24.at“, gegen die Punkte 2.1 (Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recherche und Wiedergabe von Nachrichten und Kommentaren) und 3.1 (Unterscheidbarkeit von Bericht und Kommentar) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

1. Zum Artikel

Im Artikel wird berichtet, dass sich zwei „krone.tv“-Moderatorinnen verbündet hätten, um Wolfgang Fellners Ruf zu schädigen. Sie würden ihm sexuelle Belästigung vorwerfen: Um den Prozess für Raphaela Scharf zu retten, sei plötzlich ihre „krone.tv“-Kollegin und Freundin Katia Wagner, auf den Plan getreten und behaupte nun auch, Fellner hätte im Mai 2015 bei einem Fotokopierer „begrapscht“. Anschließend heißt es, dass Wagner in Wahrheit eine freundschaftliche Beziehung zu Wolfgang Fellner gehabt hätte. Sie habe ihn – wie aus SMS ersichtlich – mehrfach zu Abendessen eingeladen, versucht ihn dabei zu überreden, sich an ihren „Beauty Salons“ zu beteiligen; u.a. hätte sie ihm Blumensträuße, Süßigkeiten und Geschenke ins Büro geschickt.

Ein besonders aufwendiger Blumenstrauß, den Katia Wagner am 12. Oktober 2017 an Wolfgang Fellner gesandt habe, hätte einen bemerkenswerten Begleitbrief gehabt. Dieser wird im Artikel zitiert wie folgt: „Lieber, lieber Wolfgang, ich wünsche Dir nur das Allerallerbeste an Deinem Geburtstag. Auf ganz viele weitere schöne und erfolgreiche Jahre! Ich freue mich, Dich kennengelernt zu haben und freue mich auf viele weitere Jahre mit Dir. Alles, alles Gute! Katia (Herz)“ Dieser Brief sei insofern bemerkenswert, als Katia Wagner zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren nicht mehr für Wolfgang Fellner tätig gewesen sei. Dem Artikel zufolge sei der Brief sohin als pro-aktiver Versuch einer neuerlichen Kontaktaufnahme aus ausschließlich privaten Motiven gewesen. Am Ende des Artikels wird Wolfgang Fellner damit zitiert, dass er fassungslos über so ein Höchstmaß an Unwahrheiten und Intrige sei, die in diesem Fall von einigen Konkurrenzmedien aus reinem Hass und Neid manipulativ mit einer Kampagne unterstützt würden.

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte, dass durch den Artikel „Litigation-PR“ in eigener Sache betrieben werde, zumal Katia Wagner darin nicht zu Wort komme. Darüber hinaus sei das Trennungsgebot von Kommentar und (neutralem) Bericht nicht eingehalten worden. Zudem bezeichnet der Leser die Formulierung als „Liebes-Brief“ in der Überschrift als irreführend.

2. Zum Vorbringen der Medieninhaberin

Die Medieninhaberin nahm am Verfahren vor dem Presserat teil. Ihr Rechtsanwalt führte u.a. aus, dass der Artikel darauf verweise, dass Wagner noch Jahre nach ihrem Ausscheiden von „oe24.TV“ Herrn Fellner private Schreiben übersendet habe, in welchen sie diesen zu einem gemeinsamen Essen einlade, ihm für die gemeinsame Zeit danke, „Alles Liebe“ wünsche und ihren Namen mit einem „Herzchen“ versehe. Nach Ansicht des Rechtsanwalts sei dies von hohem Nachrichtenwert, weil derlei Hinweise den Vorwurf widerlegen würden, wonach Wagner angeblich von Fellner belästigt worden sei.

Außerdem wurde festgehalten, dass der kritisierte Bericht in seinem Tatsachenkern wahr sei: Katia Wagner habe Wolfgang Fellner „Liebesbriefe“ übersendet, daraus werde korrekt zitiert. Die Echtheit der Briefe sei unstrittig, sodass auch keine Stellungnahme von Wagner einzuholen gewesen sei. Da Wagner selbst die Bühne der Öffentlichkeit betreten habe, müsse sie eine kritische Berichterstattung über sich hinnehmen. Es müsse der Medieninhaberin unbenommen bleiben, sich gegen öffentlich vorgebrachte tatsachenwidrige Vorwürfe auch öffentlich zu wehren, so der Rechtsanwalt.

3. Zur medienethischen Beurteilung

Der Senat hält zunächst fest, dass Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in der Berichterstattung als oberste Verpflichtung von Journalistinnen und Journalisten anzusehen sind; dies gilt grundsätzlich sowohl für die Wiedergabe von Nachrichten als auch von Kommentaren (siehe Punkt 2.1 des Ehrenkodex). Die Vorgabe schließt u.a. mit ein, Informationen umfassend aufzuarbeiten und im erforderlichen Kontext wiederzugeben.

Im vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass die wesentlichen bzw. neuen Informationen im Artikel auf einem abgedruckten Brief beruhen, den Katia Wagner im Jahr 2017 an Wolfgang Fellner richtete. Der Senat bewertet diesen Brief als zuverlässige Quelle, weshalb daraus auch zitiert werden darf und eine Kontaktaufnahme mit Wagner zur Überprüfung ihrer schriftlichen Ausführungen nicht notwendig erscheint. Allerdings befreit die Zuverlässigkeit einer Quelle das Medium nicht davon, deren Inhalt neutral wiederzugeben und bei dessen Interpretation die notwendige Objektivität aufzubringen– insbesondere im Falle eines als Bericht gestalteten Artikels (siehe dazu sogleich unten).

Nach Meinung des Senats wird Katia Wagner im Artikel in ein negatives Licht gerückt. Unter Bezugnahme auf ihren Brief wird der Eindruck erweckt, dass sie den persönlichen Kontakt zu Fellner gesucht habe und die erhobenen Belästigungsvorwürfe daher unglaubwürdig bzw. als „Rache“-Aktion einzustufen seien. In Anbetracht dessen, dass der Brief in erster Linie als Geburtstagsglückwunsch an Wolfgang Fellner zu werten ist, erscheint dies dem Senat eine subjektive bzw. einseitige Interpretation durch das Medium. Die Sichtweise Wagners zu den Motiven für ihren Brief kommt im Artikel nicht vor. Im Ergebnis qualifiziert der Senat den vorliegenden Beitrag als unausgewogen und verzerrend, zumal dieser allein die Perspektive Wolfgang Fellners berücksichtigt.

Der Senat stimmt mit dem Rechtsanwalt darin überein, dass es einem Herausgeber eines Mediums oder einem Redaktionsmitglied prinzipiell möglich sein muss, sich aus dem Blickwinkel eines Betroffenen gegen öffentlich erhobene Vorwürfe zu wehren. Aus medienethischer Sicht ist hierfür aber der Kommentar als angemessenes journalistisches Mittel zu wählen: Bei Kommentaren reicht die Meinungsfreiheit generell weit, weshalb hier u.a. geringere Anforderungen an die Frage der Ausgewogenheit zu stellen sind.

Der vorliegende Artikel ist formal wie ein (neutraler) Bericht gestaltet und wurde auch nicht als Kommentar ausgewiesen. Dennoch enthält er zahlreiche Wertungen, die für einen Kommentar typisch sind; als „Wertung“ sind all jene Passagen zu betrachten, die die subjektive Einschätzung des Journalisten widerspiegeln. Als derartige Wertungen qualifiziert der Senat etwa, dass sich zwei „krone.tv“-Moderatorinnen mit der „Puls24“-Chefredakteurin verbündet hätten, um Fellners Ruf zu schädigen; dass sich die Vorwürfe, die gegen Wolfgang Fellner in einer Puls-TV-Sendung vorgebracht wurden, durchwegs als unwahr erwiesen hätten; dass Katia Wagner zur Rettung des Prozesses von Frau Scharf „auf den Plan getreten“ sei; dass ihr Brief einen „pro-aktiven Versuch einer neuerlichen Kontaktaufnahme aus ausschließlich privaten Motiven“ darstelle sowie die Bezeichnung ihres Schreibens als „Liebes-Brief“ in der Überschrift.

Im Ergebnis betrachtet es der Senat als medienethisch unzulässig, dass der Artikel den Eindruck eines neutralen Berichts erweckt, obwohl dessen Inhalt eher einem Kommentar entspricht und viele Meinungselemente enthält, die lediglich die Sichtweise und die Argumente Wolfgang Fellners berücksichtigen. Da keine entsprechende Kennzeichnung als Kommentar vorgenommen wurde, verstößt der Artikel nach Meinung des Senats auch gegen das Gebot der Unterscheidbarkeit von Bericht und Kommentar (Punkt 3.1). Die Medieninhaberin von „oe24.at“ wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von „oe24.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht.

Die Medieninhaberin von „oe24.at“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

Quelle
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