Sonntags vor genau einer Woche wurde Niederösterreich zum Katastrophengebiet erklärt. Hochwasser, Stürme, Schnee und Kälte richteten innerhalb weniger Tage Schäden in Milliardenhöhe an und es gab Tote. Inzwischen scheint wieder die Sonne, als ob nichts gewesen wäre und beleuchtet die Folgeschäden.
Während den, an vielen Orten immer noch laufenden Aufräumarbeiten, sind nun die üblichen Diskussionen angelaufen, wer oder was Schuld sei, wer zu spät oder zu wenig warnte und wer was zahlt. Wir sehen die Bilder von großer Hilfsbereitschaft, sie gleichen sich seit den 90er Jahren wie die Schicksale der Betroffenen. (Zu denen man auch mal zählte, also weiß, wovon man da schreibt)
Da man also inzwischen das dritte Jahrtausendhochwasser erlebte, kann man auch einen Vergleich ziehen, wie war es anno domini 1997, 2002 und 2024.
Kamen die Warnungen zu spät?
Hier kann man gleich mal mit der Vorwarnzeit beginnen: Im Juli 1997 hörte man einige Stunden vor der Katastrophe recht hastige Radiomeldungen von Starkregen usw. Noch in derselben “Nacht des schwarzen Wassers” war unser Haus Geschichte, das Anwesen verwüstet.
2024 warnte der ORF schon am 9 oder 10. September, schätzte, dass Niederschläge in der Größenordnung vergangener Hochwasserereignisse zu befürchten sind. Am 11. erhielten wir auch eine VIOLETTE(!) Starkregen-Warnung von der Unwetterzentrale, dem bald darauf eine ROTE Sturmwarnung folgte.
Zeit genug, um alles in Sicherheit zu bringen? Möglich. Aber vielleicht reichen auch Wochen nicht, um wirklich alles abzudichten. Wenn das überhaupt geht. Jedenfalls hofft jeder, dass es nicht so arg kommen wird und versucht halt, seine Familie, Hab und Gut zu schützen.
Vorwürfe an Medien
Wer nun manchen Medien vorwirft, zu spät, zu verharmlosend informiert zu haben, dem sei gesagt: Medienleute können auch nur das berichten, was sie von Experten hören, was Politiker und Einsatzkräfte anordnen. Selbst wenn diese eigene Wetterredaktionen betreiben: Deren Material kommt von großen, anerkannten Institutionen.
Viele Menschen informieren sich mittels Apps oder schauen an solchen Tagen öfters bei den Messstellen des Landes NÖ oder in der Hydrometcloud vorbei. Manche haben oder hatten auch die Grisu-App (als sie noch überall funktionierte), um sich über laufende Einsätze der Feuerwehren zu informieren.
Was echt nicht klappte, war der groß angekündigte “AT-Alert“. Aber sollte jemand auf diese Art alarmiert worden sein, kann er/sie/es sich gerne melden.
Je kleiner der Fluss, umso schwierigere Prognosen
Bei einem großen Fluss wie die Donau, die ein riesiges “Einzugsgebiet” hat, spielt es wenig Rolle, ob sich plötzlich ein Niederschlagsschwerpunkt 30 km entlang dessen Verlauf verschiebt – die Regenmenge wird ihn betreffen. Somit sind weit frühere Voraussagen möglich.
Kleine Flusslandschaften dagegen sind hier unberechenbar. „Bei Starkregen dauert es oft nur wenige Viertelstunden, bis der Wasserpegel bei kleinen Fließgewässern sehr stark ansteigt.“ meint ein Leiter der NÖ Wasserwirtschaft.
Schäden noch nicht zu beziffern
Laut Landwirtschaftsministerium habe man seit 2002 mehr als 2,2 Mrd. Euro in den Schutz vor Naturgefahren investiert.
Allein in Niederösterreich wurden nach Angaben von Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) seither 800 Schutzprojekte umgesetzt. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) beziffert die Kosten dessen: “Seit 2003 sind 1,6 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz geflossen.”
Dem stehen jetzt, 2024, geschätzte Schäden gegenüber, die auch in die Milliarden gehen.
Der österreichische Versicherungsverband befürchtet, dass man für eine Rekordschadensumme von 600-700 Mio. Euro aufkommen werden muss. Und man fügt hinzu, dass es tatsächlich eine Milliarde werden könnte.
Abgesehen vom persönlichen, psychischen Leid, der Trauer um die 6 toten Menschen und wahrscheinlich vielen Haustieren ist der materielle Schaden aber noch lange nicht absehbar. Denn die Betroffenen und Helfer haben derzeit genug zu tun, um die gröbsten Schäden zu beseitigen. Wir kennen das aus eigener Erfahrung, dass das wahre Ausmaß der Katastrophe unter dem Wasserspiegel liegt und unter Schlamm begraben ist.
Ein Beispiel sind die Arbeiten in Firmen wie einem Holzverarbeitenden Betrieb im Bezirk Tulln, wo gerade Kunden, aktive und ehemalige Mitarbeiter und sogar die geschäftlichen Konkurrenten des Betroffenen Unternehmers helfen. Der Chef wankt zwischen tiefer Verzweiflung und Hoffnung angesichts der Hilfsbereitschaft. Sicher ist nur: “Ich kann noch lange keine genaue Schadenssumme nennen“.
Diskussion um Schutzbauten
Wie gesagt, allein in NÖ sind seit 2002 rund 2 Mrd. in etwa 800 Schutzprojekte geflossen. Und doch brachen zu viele Dämme, andere liefen über und boten so eine trügerische Sicherheit.
Technische Grenzen
Der Leiter des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung meint, es gäbe auch technische Grenzen. Man kann noch so hohe Mauern bauen und es wird dennoch keine 100%-ige Sicherheit. Man kann jetzt nicht gleich hinter der Mauer bauen und meinen: “mir kann nix passieren“.
Ja, früher, vor 2002 habe man geglaubt, wenn man jeden Bach in ein Betonkorsett zwängt, hat man die Gefahr im Griff. Nein, im Gegenteil: Das erhöhte nur die Fließgeschwindigkeit.
Jetzt denkt man auf mehreren Ebenen, an Retentionsflächen, Rückhaltebecken und die Einbeziehung von Katastrophenhilfe-Organisationen.
Retentionsflächen, Rückhaltebecken und Renaturierung
Und dann wäre da noch die Renaturierung, für die eben wieder einmal mehr 50 Millionen “in die Hand genommen wurden.”
Ja, der WWF warnte eh nicht schon 2017 vor dem Flussinfarkt und fordert anlässlich des Weltflüssetags (22.9) die umfassende Wiederherstellung heimischer Fließgewässer und Feuchtgebiete als wichtigen Beitrag zur Krisensicherheit:
“Der technische Hochwasserschutz muss dringend durch weitreichende ökologische Schutzmaßnahmen ergänzt werden, also vor allem durch Renaturierungen”, sagt WWF-Gewässerschutzexpertin Bettina Urbanek. “Ökologisch intakte Flüsse, Moore, Auen und andere Feuchtgebiete können wie Schwämme wirken, die Wasser aufsaugen und damit Extremwetterereignisse wie Starkregenfälle und Hochwasser abfedern – wenn man ihnen den Raum dazu gibt.”
Artenschutz verhindert Sanierung?
PS: Bei allem Artenschutz und so sollte man aber bedenken: Auch der Mensch ist eine Art Spezies und darf auch seinen Lebensraum beanspruchen.
Warum der Einwand? Naja, wenn eine EU-Habitatrichtlinie wegen einer Schnecke die Sanierung eines Dammes verhindert, dann haben wir ein Problem.
Sieht auch Pernkopf so: “Man soll Habitate schaffen, wo sich diese seltenen Arten ansiedeln können, aber dort, wo Hochwasserschutzmaßnahmen sind, hat ein Biber und hat eine Schnecke nichts verloren.”
Mit dem Traktor zur Wehr
Was auch seltsam ist: Beim RHB Sulzbach muss man mit dem Traktor anrücken, um den Schieber im Einlassbauwerk zu öffnen. Wie das technisch genau geht, war in dem Regen- und Sturmchaos nicht zu sehen, aber man nutzt hier den Traktormotor, um dies zu bewerkstelligen. Was, wenn man eines Tages nicht einmal mehr mit so einem Fahrzeug dort hinkommt? Oder wenn …
Der Fehler in Fahrafeld
Es gibt aber auch heutzutage noch recht banale Fehler, wie man anhand eines der größten und teuersten Schutzprojekte, dem RHB Fahrafeld dieser Tage erleben musste. Hier, in unserem Triestingtal wurde erst im Mai dieses Jahres das 45 Mio. teure Projekt eröffnet. Und doch wurde die B18 wieder einmal mehr zu einem Bach …
Nach Aussage eines Beraters, welcher früher in einige Schutzprojekte der Gegend involviert war, hat man einen Fehler gemacht:
“Es wurde ganz einfach kein sogenannter Vorrechen eingebaut, der die groben, großen Baumstämme vorher herausfiltern sollte“. (So schaut so ein Ding aus: https://vorarlberg.orf.at/stories/3273765/)
Warum?
“Weil die zuständige Feuerwehr meinte, man müsse zu dem Rechen auch hinkommen, um ihn auszuräumen“. Logisch. Doch dazu hätte man noch eine Brücke bauen müssen und “die war wahrscheinlich dann nicht mehr im Budget drinnen” vermutet der erfahrene Ingenieur.
Aber es hielt stand, zeigte am 15.09.2024 um 13:30 einen Beckenpegel von über 9 Metern! Somit bewahrte es sein konzipiertes Fassungsvermögen von 750.000 m³.